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05.2009

LESUNG "GESTATTEN: ELITE" VON JULIA FRIEDRICHS
in der Christuskirche Hannover

Anmoderation

Der Autohersteller Daimler meldete zu Anfang der Woche einen drastischen Rückgang des Absatzes. Seit Monaten rollen zu viele der "Premiumfahrzeuge" in die Depots und Händler-Lager. Natürlich ist die Wirtschaftskrise der wesentliche Faktor für diese Situation, doch lebt Daimler auch davon, dass es überhaupt Menschen mit Stil und Portemonnaie gibt, die mit schönen Autos über deutsche Straßen fahren. Wir sind damit beim Thema "Leistungsträger / Elite" angelangt, welches bereits vor der Krise schon auf der politischen Agenda stand. Aus nächster Nähe hat sich Julia Friedrichs mit der Elite von morgen befasst und veröffentlichte ein Buch über sie. Am Mittwoch vergangener Woche las sie daraus in der Christuskirche Hannover. Markus Hiereth war dabei.

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Beitrag

Rund zwei Jahre war Julia Friedrichs zwischen besseren Kindergärten, Internaten und Privatunis unterwegs; sie hatte angehende Spitzenkräfte der Wirtschaft an ihren Schreibtischen vor sich. Ihr Buch nennt eine Reihe von Umständen, Anforderungen und Merkmalen, die wichtig, günstig oder nötig sind, um zur Elite von morgen zu gehören. Was man hingegen nach Ansicht einer promovierten Erziehungswissenschaftlerin besser bleiben lässt, breitet die Presse dankbar aus, wenn diese Wissenschaftlerin als Bundesbildungsministerin einmal die Contenance verliert.

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Ich denke an den Satz, den Bundesbildungsministerin Annette Schavan demonstrierenden Studenten an der Uni Hamburg entgegengerufen hat: "Wir brauchen Eliten, keine Schreihälse", sagte sie.

Doch weiterhin lassen sich aus einer Schar von Uniabsolventen problemlos Nachwuchskräfte rekrutieren. Wobei höchste fachliche Qualifikation nicht automatisch das beste Einstiegsgehalt garantiert. Julia Friedrichs etwa verschlug es mit einem Studium der Journalistik, also bar jeglicher Kenntnisse in Unternehmensführung, in die Berater-Branche, und zwar zu einem der bekanntesten Namen darin.

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McKinsey baut Unternehmen, Behörden, Staaten um. Zehntausende junge Deutsche wollen jedes Jahr dazugehören und schicken ihre Bewerbung. Ein bis zwei Prozent bekommen einen Job.

Unter die 100 Prozent manövrierte sie sich mit einer Bewerbung und unterschlug dabei, was sie abseits des Auswahlsverfahrens so trieb oder schrieb. Sie schrieb etwa nieder, wie sich die Unternehmensberater selbst sehen, bekam Eindrücke der Arbeit in einer Branche, an der sich die Geister scheiden; eine Branche, welche Aufträge kriegt - sogar, oder gerade jetzt in einer Zeit leerer Kassen. Man denke an Opel, Bundesregierung und Roland Berger - Unternehmensberatung. Julia Friedrichs zufolge arbeitet der Nachwuchs dieser Branche hart. Angesichts unerbittlichen internen Wettbewerbs tauscht man sein Privatleben gegen viel Geld und Karriereperspektiven ein. Die Woche bestehe aus drei Teilen: Der Montag ist der erste von vier Tagen; an irgendeinem Schreibtisch in einer fremden Stadt, dem Sitz des Auftraggebers. In vier Tagen leistet man gut und gern sechzig Arbeitsstunden ...

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... an den Tagen, an denen sie beim Kunden sind. Bis Donnerstagnacht. Dann fliegen sie zurück, sind Freitag noch den ganzen Tag im Büro und am Wochenende schlafen sie dann. Da wird geguckt, dass sie das zwei, drei Jahre irgendwie durchhalten und danach sind sie dann entweder ausgeschieden, ich hatte ja gesagt "grow oder go" ist das Motto. Oder sie sind aufgestiegen, dann haben sie mehr Freiräume über ihre Arbeitszeit zu bestimmen. Durch diese Mühle muss man halt durch ...

Dennoch war Julia Friedrichs nahe daran, sich diese Mühle anzutun. Anders als den 98 Prozent erfolglosen Bewerbern winkte McKinsey ihr mit einem Arbeitsvertrag. 67000 Euro Jahresgehalt sollten fließen. Ein Dienstwagen war ergänzende Attraktion. Doch das ursprüngliche Motiv ihrer Bewerbung war, für den Westdeutschen Rundfunk speziell McKinsey beim Schmieden des Nachwuches in Bild zu bekommen. Angenehmerweise wurde sie nach der Undercover-Recherche mit dem Hamburger Verlag Hoffmann und Campe handelseinig. Ihr zur Lesung nach Hannover mitgenommenes Buch "Gestatten: Elite" ist das Resultat. Diese entscheidende Zeit und ihre Haltung zum Gegenstand in der Erinnerung der Autorin:

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Von da an war ich von dieser Welt gleichzeitig fasziniert und abgestoßen. Und ich hatte nach dem ersten Bericht das Glück, dass ich das Angebot bekommen habe, von Hoffmann und Campe, da ein Buch dazu zu schreiben. Sie hatten schon zugesagt bevor ich losgelegt hatte und damit hatte ich die Möglichkeit, den Luxus, da anderthalb Jahre zu recherchieren und ein halbes Jahr zu schreiben.

Mit den zwiespältigen Situationen als Jobaspirantin bei McKinsey steigt Julia Friedrichs in das Thema ein, schildert etwa einen Segeltörn in der Ägäis als Krönung beziehungsweise Teil der Bewerberauswahl.

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Für mich war klar, ich muss es schaffen, sonst ist diese Recherche für die Katz. Insofern war ich schon extrem motiviert Und ich muss sagen, dass dieses Auswahlverfahren, wie es ist, also alle Stunde fliegt einer raus, es werden immer weniger, natürlich absolut Instinkte anspringt. Man will die anderen rauswerfen. Das hat bei mir gut funktioniert. Ich war am Ende total angefixt, das geschafft zu haben.

Für McKinsey auch zu arbeiten, schlug Julia Friedrichs wie erwähnt, aus. Stattdessen nahm sie für das Buch weitere Pfade der Eliterekrutierung in Augenschein. Sie hielt Kontakt mit einigen, die sie auf diesen Pfaden antraf. Etwa Bernd, Studentensprecher an der European Business School. Ihm oder Mario von McKinsey verleiht sie in "Gestatten: Elite" ein Profil. Zwischendurch und auf Fragen von Zuhörerinnen und Zuhörern lieferte die Autorin ein generelle Situationsbeschreibung. Demnach sind beim Hinzustoßen in die Elite sicher mehrere, aber durchaus nicht voneinander unabhängige Faktoren wichtig.

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Die Herkunft spielt tatsächlich eine sehr sehr große Rolle. Oftmals funktionierte es direkt, das heißt über Geld, das bezahlt werden musste. Der private Bildungssektor boomt in Deutschland, vor allem bei den Kindergarten- und den Grundschulkindern. Also es funktioniert der Zugang über Geld, über Netzwerke über Kontakte ...

Von einer Situation, in der ministerieller Besuch ungehöriges Betragen statt Leistung feststellen musste, war schon eingangs die Rede. Dabei passt eines der Recherchegespräche, welche Julia Friedrichs führte, nicht zur landläufigen Auffassung, mangelnder oder mäßiger Leistungswille und übles Betragen gingen immer Hand in Hand. Ort dieses Gesprächs war ein bayerisches Internat, das als Ganzes nur mit moderater Leistung aufwarten kann. Im Schnitt werden dort "befriedigende" Abiture hingelegt. Doch die flankierenden Lehrangebote im Sektor Benimm, Knigge und Dinner nützen einfach, wenn es um den Übergang ins Berufsleben geht.

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An einem der Internate, wo ich war, an Schloss Neubeuern, hatten die Schüler einen Abidurchschnitt von 3,0. Das ist nicht so gut. Trotzdem schafften die bessere Bildungsabläufe als die Absolventen von staatlichen Schulen. Ich habe den Rektor gefragt: "Wieso?" und er meinte, im Vorstellungsgespräch schaut ein durchschnittlicher Abiturient vom staatlichen Gymnasium nervös auf seine Schuhspitzen, während seine Schüler gewohnt seien, dem Gegenüber in die Augen zu schauen. Sie hätten in Benimm-, Knigge- und Dinnerkursen das alles gelernt und seien demnach für diese Welt besonders geeignet, ihr gewachsen.

Bei den Recherchen zu ihrem Buch lernte Julia Friedrichs genügend Menschen kennen, um der Gefahr von Schwarz-Weiß-Malerei zu entgehen. Abseits vom Kult um und der Kultivierung einer neuen Elite als einem Politikum, welches ihr ernstlich Sorgen bereitet, merkt sie an, dass diese Jungen, die heute Begünstigten, durchaus noch unterschiedliche Haltungen zur Gesellschaft einnehmen und ihr Werdegang an sich nicht rechtfertigt, sie zu kritisieren.

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Die erste so erzogene Elitegeneration steht bereit in den Internaten, an den Akademien, in den Unis. Es sind junge Menschen, die gelernt haben, dass Elitesein kein Tabu mehr ist, sondern Tatsache. Junge Menschen, die wissen, dass sie für sich mehr beansprechen können als der Durchschnitt. Manche zögern, diesen Anspruch zu formulieren, manche schreien ihn vor Selbstbewußtsein strotzend heraus. Manche versprechen, auf ihrem Weg nach oben die unten stehen nicht zu vergessen ...

Ob die Letztgenannten sich gegenüber der Gesellschaft auch in ein paar Jahre noch verpflichtet sehen, kann natürlich nicht vorhergesagt werden. Doch dass ihr Selbstbild die soziale Facette behält, dafür sind die Bedingungen nicht allzu günstig. Schon der Faktor Zeit lässt Julia Friedrichs eine Verengung der Perspektive erwarten, dazu kommt, dass bei ihrer speziellen Sozialisation eine Rolle weder zugestanden ist noch geübt wird.

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Viel leisten, das heißt, in dieser Elitewelt, funktionieren, nicht nachfragen. Nicht an den Lerninhalten der Unis rütteln, nicht an Streik denken, wenn der Tag in der Beratung wieder sechszehn Stunden lang ist. Kein Recht, auch 'mal zu scheitern. Ich wäre erleichtert gewesen, wenn ich unter den Eliten mehr Schreihälse getroffen hätte, mehr Widersprecher, mehr Neinsager. Aber vermutlich fehlt ihnen dazu schlicht die Zeit.

Abmoderation

In die Christuskirche in Hannover lud der "Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover" die Buchautorin Julia Friedrichs auf eine Lesung ein. Für Okerwelle 104,6 berichtete Markus Hiereth. Wer sich mit der Thematik "Elite und Elitebildung" in Ruhe befassen mag, der kann dies anhand von Julia Friedrichs Buch tun: "Gestatten: Elite". Es ist erschienen beim Hamburger Hoffmann und Campe - Verlag, hat 256 Seiten und kostet 17,95 Euro.