ÖkologiePolitik, März 1999
Markus Hiereth
© Dipl. biochem Markus Hiereth
www.hiereth.de
9903nf
12.01.1999

Gentechnik in Lebensmitteln
NOVEL-FOOD-VERORDNUNG VERFEHLT UMFASSENDE REGELUNG

Vor rund zwei Jahren verabschiedete das Europaparlament die Novel-Food- Verordnung. Verbraucher- und Umweltverbände sparten nicht mit Kritik. Das Ziel einer umfassenden Regelung von Bio- und Gentechnik in Nahrungsmitteln war verfehlt worden. Über einen Artikel zur "Gleichwertigkeit" können genveränderte Nahrungsmittel ohne Genehmigung, sondern mit einem einfachen Meldeverfahren auf den Markt gebracht werden. Ungewissen blieb, was und wie gekennzeichnet werden würde. Welche Stellung die Gentechnik im Nahrungsmittelangebot inzwischen einnimmt, wo und wie Gesetze und Verordnungen greifen, soll Thema dieses Beitrags [1][2] sein.

1. Wo hat es der Verbraucher heute mit genveränderten Nahrungsmitteln zu tun?

Im Angebot frischer Lebensmittel, bei Fleisch, Molkereiprodukten, Obst und Gemüse spielt die Gentechnik derzeit keine Rolle [3]. Die "Antimatsch-Tomate" von Calgene blieb eine US-amerikanische Spezialität. Anders als in den Vereinigten Staaten werden in der EU Rinder auch nicht mit gentechnisch erzeugtem Wachstumshormon gespritzt. Andererseits sind etliche genveränderte Produkte kreiert. In Großbritannien ist eine gentechnisch veränderte Hefe für Backwaren entwickelt. Ein Hefestamm für Brauereien ist dort ebenfalls zugelassen und der damit vergorene Gerstensaft wird von einer Versuchsbrauerei direktvermarktet. In Großbritannien wird auch die Gentomate aus den USA zu Dosenpüree verarbeitet. Das Produkt wird nicht nach Deutschland ausgeführt und ist - auf freiwilliger Basis - als genverändert gekennzeichnet. Unter Umständen erhält eine andere genveränderte Tomate noch in diesem Jahr (1999) eine Zulassung in der Europäischen Union, denn die Firma Zeneca hat in Spanien für ihre "reifeverzögerte" Tomate einen Antrag zum Anbau und zur Verarbeitung zu Konservenware eingereicht.
Gentechnisch veränderte Organismen werden in beträchtlichem Umfang von Zusatzstoff-Herstellern verwendet. Manuela Schulze vom Braunschweiger Amt für Lebenmitteluntersuchung gibt an, daß die Hälfte dieser Stoffe von genveränderten Organismen erzeugt wird.
Ebenso fischte die Zeitschrift Öko-Test nicht vergeblich, als sie im Frühjahr 1998 Rapshonig auf genveränderte Pollen untersuchte. Die Funde überraschen angesichts der Tatsache, daß in Kanada auf einem Fünftel der Rapsanbaufläche genveränderte Pflanzen stehen, wenig. In Europa soll Gen-Mais, wenn es nach den Vorstellungen der neuen Agro-Pharma-Konzerne Monsanto, AgrEvo und Novartis geht, rasch vergleichbare Marktanteile erreichen. Eine von Novartis, der früheren Ciby-Geigy, genveränderte Maissorte wuchs 1998 in Deutschland auf einem Promille (350 ha), in Frankreich auf einem Prozent der Anbaufläche.

2. Welche Gesetze regulieren den Sektor?

2.1. Entscheidungsprozedur

Nach der Novel-Food-Verordnung (NFV) werden "neuartige Lebensmittel" über zwei Wege verkehrsfähig. Neben einem Verfahren mit Antrag, Erstprüfung und Genehmigungsentscheidung (über Artikel 4, 6 und 7) gibt es ein vereinfachtes Verfahren (über Artikel 5), welches dem Hersteller nur auferlegt, das Inverkehrbringen mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf zu melden. Dazu muß ein Gutachtens zur "Gleichwertigkeit" des Lebensmittels vorgelegt werden. Keineswegs überraschend, schlagen die Hersteller den zweiten Weg bevorzugt ein, so meldete Novartis beispielsweise pauschal "Produkte aus insekten-tolerantem Mais 2044". Je allgemeiner formuliert wird, desto weniger bedeutend nehmen sich vorgenommene Veränderungen aus: An der Stärke im Maiskorn ist nichts anders, ebensowenig am Keimöl und angesichts des geringen Proteingehalts von Maiskörnern kommen die Gutachter letztlich zu dem Schluß, daß trotz zweier bakterieller Proteine im Mais eine "Gleichwertigkeit im wesentlichen" gegeben sei. Das Genehmigungsverfahren wird dadurch erläßlich. Bis heute gibt es nur einen Fall, in dem ein komplettes Genehmigungsverfahren nach Artikel 4,6 und 7 zu durchlaufen ist, es geht dabei um eine Sojasorte mit veränderter Zusammensetzung des Ölanteiles. Die Zulassungsbehörden werden sich also mit diesem Produkt, das bekannte Stoffe in veränderten Mengen enthält, eingehender befassen als mit anderen, die in Lebensmitteln zuvor nicht enthaltene Stoffe aufweisen.
Marianna Schauzu vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) hält das bloße Anzeigen des Inverkehrbringens dennoch für vertretbar. Die gesundheitliche Unbedenklichkeit werde schon im Zulassungsverfahren nach der EU-Freisetzungsrichtlinie sichergestellt. Auf diese Richtlinie, die ökologische Schäden durch den Anbau genveränderter Organismen verhindern soll, einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrages über Gentechnik in Nahrungsmitteln sprengen. Erwähnt sei jedoch, wie das zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) derzeit Pflanzen beurteilt, auf die Antibiotika-Resistenzgene übertragen wurden. Obwohl die Zentrale Kommission für biologische Sicherheit (ZKBS) die Bedenken gegen solche Gene in genveränderten Nutzpflanzen teilt, kommt von deutscher Seite kein Einspruch im Verfahren zur Zeneca-Gentomate, die ein Kanamycin-Resistenzgen enthält. Erst in ein bis zwei Jahren will das RKI Sorten mit Antibiotikaresistenzgenen die Zulassung verweigern.

2.2. Geltungsbereich

Die Novel-Food-Verordnung 258/97 deckt den Komplex "Gentechnik in Nahrungsmitteln" nicht ab. Berücksichtigung finden die agrarisch erzeugten Rohstoffe, im Gegensatz dazu ist für die ganze Palette industriell hergestellter Zusätze wie Emulgatoren, Dickungsmittel, Aromen, Geschmacksverstärker und Vitamine faktisch keine Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung erforderlich, auch wenn sie von genveränderten Mikroorganismen gebildet werden. Es wird davon ausgegangen, daß die Richtlinien für Aromen und Zusatzstoffe einerseits und Novel-Food-Verordnung andererseits die gleiche Sicherheit bieten. Bei allen mikrobiell erzeugten Stoffen kommt es darauf an, unerwünschte oder gar toxische Produkte, die ein Organismus unter Umständen bildet, zu erkennen und sicher abzutrennen. Die dazu nötigen Untersuchungen aber finden mehr oder weniger in eigener Regie des Herstellers statt. Es wird davon ausgegangen, daß ein unbedenklicher Organismus nach Aufnahme von Erbgut anderer unbedenklicher Organismen nichts Bedenkliches synthetisiert.
Ebenfalls nicht von der Novel-Food-Verordnung tangiert werden die ersten genveränderten Soja- und Maissorten. Die politische Entscheidung zugunsten ihres Imports und ihrer Verarbeitung war bereits vor der Novel-Food-Verordnung gefallen. Inzwischen ist eine der NFV analoge Kennzeichnung auch für Produkte aus genverändertem Mais und Soja vorgeschrieben. Effektiv in Kraft ist diese Nachbesserung seit September 1998, da zuvor die Art und Weise der Kennzeichnung der genveränderten Zutaten nicht fixiert war. Auch stand nicht fest, anhand welcher Merkmale die Einhaltung der Kennzeichnungspflicht überprüft werden sollte. Inzwischen könnte der Konsument dem Kleingedruckten entnehmen, wenn Gensoja oder Genmais verarbeitet wurden. Zur Kontrolle können die Untersuchungsämter die Lebensmittel sowohl auf eingefügtes Erbgut (DNA) als auch auf artfremde Proteine untersuchen. Der Test auf DNA ist im allgemeinen empfindlicher, doch eine zweite, alternative Methode vermindert Verschleierungsmöglichkeiten. Kritikwürdig bleibt, daß die Industrie nicht verpflichtet wurde, DNA-Erkennungs-Sequenzen offenzulegen, die für die Entwicklung von Tests notwendig sind.

2.3. Kennzeichnung

Die NFV fordert eine Kennzeichung des Produktes nur dann, wenn es prinzipiell möglich ist, im Labor eine gentechnische Veränderung nachzuweisen. Folglich werden beispielsweise Margarine und Zucker ohne Kennzeichnung bleiben, da sich Fette, Öle und Kohlenhydrate genveränderter Organismen nicht von denen konventioneller unterscheiden. Doch auch ein Teil positiver Nachweise eingesetzten Erbguts oder artfremder Proteine bleiben zur Zeit ohne Folgen. In Brüssel wird derzeit erörtert, ob genveränderte Pollen in Rapshonig eine Lebensmittelzutat darstellen. Zudem sind keine Grenzwerte für den Anteil genveränderter Rohstoffe formuliert. Daher werden geringe Mengen von Genmais in Tortilla-Chips nicht als zu deklarierende Zutat, sondern als Verunreinigung angesehen. Auf dem Rohstoffmarkt aber werden genveränderte und konventielle Ernte nicht getrennt gehalten und möglicherweise bewußt vermengt. Auch besteht für Rohstoffe keine Kennzeichnungspflicht. Nach Auskunft von Michael Warburg vom Bundesministeriums für Gesundheit umfaßt die Sorgfaltspflicht des Herstellers allerdings, daß er seine Rohstoffe auf etwaige Genveränderungen testet.
Daraus erwächst insofern eine Chance für die per Volkbegehren initiierte Genfrei-Kennzeichung, als die Masse "grauer Ware" der Branche die Notwendigkeit beschert, bei jedem Kauf Analysen zu veranlassen. Ein Siegel "ohne Gentechnik" könnte die Informationskette vom Erzeuger zum Verbraucher schließen. Dieses System würde auch denjenigen entgegenkommen, die ein Manko darin sehen, daß Gentechnik nur da kenntlich gemacht wird, wo sie durch Analyse zu belegen ist. Die gesetzliche Grundlage, den Verzicht auf gentechnische Methoden mit einem solchen Siegel anzuzeigen, ist geschaffen. Ob sich ein Markt gentechnikfreier Lebensmittel etabliert, wird die Zukunft zeigen. Die Konsumenten haben dazu dem Einzelhandel mit Nachdruck vermitteln, diese Produkte im Sortiment zu führen.
Anmerkungen und Verweise
1
Es handelt sich hier um das nicht redigierte Originalmanuskript für die Zeitschrift Ökologiepolitik.
2
Tilman Kluge kritisiert auf einer Seite "Der Gen-Unsinn" Begriffe, die andeuten, dass genetisches Material in Nahrung bedenklich und etwas Neues sei. Gemeint sind "Genmais" und "Gentomate" und, umgekehrt, "genfrei" als positives Merkmal. Als Beleg, dass im vorliegenden Artikel solche Begrifflichen nur ausnahmsweise benutzt werden, erscheinen im Text die umgangssprachlichen Konstrukte hellgrün, die unstrittig korrekten Atribute "gentechnikfrei" oder "genverändert" hingegen dunkelgrün.
3

Übersichtstabelle

Gentechnik bei Produkt Land zugelassen gekennzeichnet
Tomate von Calgene Dosenpüree in GB auf dem Markt ja freiwillig
Hormonbehandelte Rinder Fleisch EU gegen Import aus den USA nein -
Hefe Bier Versuchsbrauerei in GB ja direkt vermarktet
Backwaren in GB nein -
Mikroorganismen zur Herstellung von Lebensmittelzusätzen Enzyme, Aromen, Dickungsmittel, Vitamine als Zusatzstoffe EU ja nein
Hartkäse EU ja nein
Sojabohne von Monsanto Lecithin einer Vielzahl von Produkten EU ja nein
Sojaöl in Margarine EU ja nein
Sojaeiweiß ein einer Vielzahl von Produkten EU ja nein
Mais Maisgebäck, Cornflakes, Schokoriegel "Butterfinger" EU ja ja
Tomate von Zeneca Dosenware EU offen ja